"Jeder Schritt wird traurig ... jene, die übriggeblieben sind, grüße von mir..." Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache. 2 S. mit Unterschrift "Egonek. 28,3 x 22 cm. Mit masch. beschrifteten Kuvert. Mexiko-Stadt 12. September 1945. Haupt S. 240ff. – Erschütternder Brief an Jarmila Haasová, wohl der erste nach Ende des Kriegs, in dem Egon Erwin Kisch (1885-1948) seine Trauer und auch seine Angst ausdrückt im Angesicht der grauenhaften Bilanz, die das Regime des sogenannten "Dritten Reichs" hinterlassen hat. Es ist ein eng beschriebener, ausführlicher eigenhändiger Brief in schwarzblauer Tinte auf Luftpostpapier mit Aufdruck "Egon Erwin Kisch. Av. Tamaulipas 152-6 Tel. Mexicana P-07-99 Mexico, D. F." Ende 1939 war Kisch nach Amerika geflohen. Die Zudringlichkeiten des Versailler Exils durch die französischen Behörden und die aktuellen Ereignisse im Deutschen Reich waren dermaßen besorgniserregend, dass Kisch mit Hilfe eines Visums des mexikanischen Generalkonsuls in Paris ausreisen durfte, zunächst in die USA, wo er New York über die jüdischen Viertel und das jüdische Leben berichtete. Weiterhin arbeitete er an seiner Autobiographie Crawling in the Inky River (Schwimmen im Tintenstrom, veröffentlicht dann erst 1941 unter dem Titel Sensation Fair), die der Verlag Alfred A. Knopf dann aber letztlich ablehnte. 1940 kam eine Ehefrau, seine Typistin, Korrektorin und hier und da auch Mitautorin Gisela Lyner (1895-1962) nach, er hatte sie im Oktober 1938 geheiratet. Ende 1940 gelang ihnen die Übersiedlung nach Mexiko Stadt, wohin zahlreiche deutsche Intellektuelle geflohen waren. So saß Anna Seghers als Präsidentin dem literarischen Heinrich-Heine-Klub vor, die Vizepräsidentschaft hatte Kisch übernommen. Seine treueste Freundin und Übersetzerin nahezu aller seiner Werke ins Tschechische, Jarmila Haasová (1896-1990) befand sich weiterhin in Prag. Er schrieb ihr in tschechischer Sprache aus dem Spätsommer 1945: "Milý Jarmiláču můj, Tak Tí píšu! Jest-li to dostaněs?" - "Mein liebe Jarmiláču, so schreibe ich Dir also! Ob Du den Brief erhältst? Was habe ich nicht an Dich gedacht, jeden Tag. Und was habe ich alles befürchtet. Und vor einigen Tagen habe ich Deine Zeilen erhalten, die Du und Vincek Herberts Brief beigefügt hatten. Gisl hatte Tränen in den Augen ..." Herbert war der Sohn von Kischs Bruder Arnold, der die Post übernommen hatte. "Gestern und vorgestern habe ich direkt aus Prag Briefe bekommen, beide von unbekannten Leuten. Einer der Briefe war von einem Herrn Hicke, einem Tschechen, der mich grüßt, daß ich am Leben bin. Der zweite ist von einer Frau, die mir schreibt, daß ihr Sohn nach Mexiko gefahren ist und daß sie keine Nachricht von ihm hat. Sie will wissen, ob er noch lebt." Als Tscheche und Deutscher waren Kisch und Lyner im Krieg, ebenso wie danach zu einer der Vermittlungsstellen für Displaced Persons in Mexiko geworden. Er schreibt weiter: "Zufällig kenne ich ihn und weiß, daß er gesund ist. Deshalb will ich ihr sofort antworten. Aber ihr meinen ersten Brief nach Prag schreiben, das geht nicht. Der erste Brief gehört doch Jarmilka! ... Stell Dir vor, die Frau heißt Ambrožová. Und als ich gestern den Brief erhalten und den Namen der Absenderin gelesen habe, blieb mir das Herz stehen. Vielleicht ist das Deine Familie, und Dir ist etwas zugestoßen. Aber zum Glück war es keine neue Katastrophe für mich. Ich habe ja auch genug davon gehabt. Was soll ich Dir, Jarmilko, über all das, was ich durchgemacht habe, schreiben! Und das auf einem Papier, von dem ich nicht weiß, ob Du es erhältst!" Kisch spricht von seinen Plänen, mit Gisela Lyner nach Prag zurückzukehren: "Ich arbeite daran, daß ich so schnell wie möglich nach Hause zurückkehren kann. Die Botschaft hilft mir (auf Anweisung von Prag), aber so leicht ist das nicht ... Jarmilko, was soll ich Dich fragen? Ich habe Angst davor, wen von meinen Freunden ich in Prag noch sehen werde. Jeder Schritt wird traurig, jede Frage, jede Antwo
"Jeder Schritt wird traurig ... jene, die übriggeblieben sind, grüße von mir..." Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache. 2 S. mit Unterschrift "Egonek. 28,3 x 22 cm. Mit masch. beschrifteten Kuvert. Mexiko-Stadt 12. September 1945. Haupt S. 240ff. – Erschütternder Brief an Jarmila Haasová, wohl der erste nach Ende des Kriegs, in dem Egon Erwin Kisch (1885-1948) seine Trauer und auch seine Angst ausdrückt im Angesicht der grauenhaften Bilanz, die das Regime des sogenannten "Dritten Reichs" hinterlassen hat. Es ist ein eng beschriebener, ausführlicher eigenhändiger Brief in schwarzblauer Tinte auf Luftpostpapier mit Aufdruck "Egon Erwin Kisch. Av. Tamaulipas 152-6 Tel. Mexicana P-07-99 Mexico, D. F." Ende 1939 war Kisch nach Amerika geflohen. Die Zudringlichkeiten des Versailler Exils durch die französischen Behörden und die aktuellen Ereignisse im Deutschen Reich waren dermaßen besorgniserregend, dass Kisch mit Hilfe eines Visums des mexikanischen Generalkonsuls in Paris ausreisen durfte, zunächst in die USA, wo er New York über die jüdischen Viertel und das jüdische Leben berichtete. Weiterhin arbeitete er an seiner Autobiographie Crawling in the Inky River (Schwimmen im Tintenstrom, veröffentlicht dann erst 1941 unter dem Titel Sensation Fair), die der Verlag Alfred A. Knopf dann aber letztlich ablehnte. 1940 kam eine Ehefrau, seine Typistin, Korrektorin und hier und da auch Mitautorin Gisela Lyner (1895-1962) nach, er hatte sie im Oktober 1938 geheiratet. Ende 1940 gelang ihnen die Übersiedlung nach Mexiko Stadt, wohin zahlreiche deutsche Intellektuelle geflohen waren. So saß Anna Seghers als Präsidentin dem literarischen Heinrich-Heine-Klub vor, die Vizepräsidentschaft hatte Kisch übernommen. Seine treueste Freundin und Übersetzerin nahezu aller seiner Werke ins Tschechische, Jarmila Haasová (1896-1990) befand sich weiterhin in Prag. Er schrieb ihr in tschechischer Sprache aus dem Spätsommer 1945: "Milý Jarmiláču můj, Tak Tí píšu! Jest-li to dostaněs?" - "Mein liebe Jarmiláču, so schreibe ich Dir also! Ob Du den Brief erhältst? Was habe ich nicht an Dich gedacht, jeden Tag. Und was habe ich alles befürchtet. Und vor einigen Tagen habe ich Deine Zeilen erhalten, die Du und Vincek Herberts Brief beigefügt hatten. Gisl hatte Tränen in den Augen ..." Herbert war der Sohn von Kischs Bruder Arnold, der die Post übernommen hatte. "Gestern und vorgestern habe ich direkt aus Prag Briefe bekommen, beide von unbekannten Leuten. Einer der Briefe war von einem Herrn Hicke, einem Tschechen, der mich grüßt, daß ich am Leben bin. Der zweite ist von einer Frau, die mir schreibt, daß ihr Sohn nach Mexiko gefahren ist und daß sie keine Nachricht von ihm hat. Sie will wissen, ob er noch lebt." Als Tscheche und Deutscher waren Kisch und Lyner im Krieg, ebenso wie danach zu einer der Vermittlungsstellen für Displaced Persons in Mexiko geworden. Er schreibt weiter: "Zufällig kenne ich ihn und weiß, daß er gesund ist. Deshalb will ich ihr sofort antworten. Aber ihr meinen ersten Brief nach Prag schreiben, das geht nicht. Der erste Brief gehört doch Jarmilka! ... Stell Dir vor, die Frau heißt Ambrožová. Und als ich gestern den Brief erhalten und den Namen der Absenderin gelesen habe, blieb mir das Herz stehen. Vielleicht ist das Deine Familie, und Dir ist etwas zugestoßen. Aber zum Glück war es keine neue Katastrophe für mich. Ich habe ja auch genug davon gehabt. Was soll ich Dir, Jarmilko, über all das, was ich durchgemacht habe, schreiben! Und das auf einem Papier, von dem ich nicht weiß, ob Du es erhältst!" Kisch spricht von seinen Plänen, mit Gisela Lyner nach Prag zurückzukehren: "Ich arbeite daran, daß ich so schnell wie möglich nach Hause zurückkehren kann. Die Botschaft hilft mir (auf Anweisung von Prag), aber so leicht ist das nicht ... Jarmilko, was soll ich Dich fragen? Ich habe Angst davor, wen von meinen Freunden ich in Prag noch sehen werde. Jeder Schritt wird traurig, jede Frage, jede Antwo
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